Die Berge haben für viele eine magische Anziehungskraft, verständlich bei der überwältigenden Schönheit der Bergwelt. Wer einmal einen Sonnenaufgang oder -untergang im Hochgebirge erleben durfte, weiß wovon ich schreibe. Neben all den tollen Eindrücken die eine Hochtour zu bieten hat, darf nie vergessen werden, dass neben Absturz, Steinschlag und Wetterkapriolen auch andere Gefahren lauern. Ein Höhenlungenödem ist ein Notfallbild, das bei jeder Hochtour auftreten kann. Es entwickelt sich in der Regel ab einer Höhe jenseits der 3000 Höhenmeter. Durch die Veränderung des Sauerstoffpartialdrucks in der Höhe kommt es zu einem Lungenödem („Wasseransammlung“ in der Lunge). Häufig tritt dieses Phänomen bei zu schnellen Aufstiegen mit zu vielen zurückgelegten Höhenmetern auf, beziehungsweise bei zu kurzer Akklimatisierung. Da die Letalität (Sterblichkeit) bei einem ausgeprägten Höhenlungenödem bei circa 40% liegt, wollen wir das Wichtigste zu diesem Notfallbild vermitteln.
Euler-Liljestrand-Mechanismus – ein kurzer Ausflug in die menschliche Physiologie
Mit jeden Meter den wir über dem Meeresspiegel liegen, sinkt der Luftdruck ab. Bei großen Höhen wird dies auch physiologisch relevant, da mit dem sinkendem Luftdruck auch der Sauerstoffpartialdruck in der Atmungsluft sinkt. Je höher der Sauerstoffpartialdruck in den Alveolen (Lungenbläschen) ist, desto effektiver findet der Sauerstoffaustausch statt. Allerdings je geringer der Partialdruck, desto schlechter ist der Sauerstoffaustausch. Bei der Gabe von medizinischen Sauerstoff erhöhen wir übrigens immens den Sauerstoffpartial in unseren Alveolen.
Das Phänomen der hypoxischen Vasokonstriktion (Euler-Liljestrand-Mechanismus) tritt in unseren kleinsten Blutgefäßen auf, den sogenannten Kapillaren. Wenn der Sauerstoff-Partialdruck unter eine bestimmte Schwelle fällt, dann kommt es in der umgebenden Blutkapillare zu einer Vasokonstriktion (glatte Gefäßmuskulatur spannt sich an und verkleinert das Lumen), das sorgt für eine verminderte Durchblutung in diesen Bereichen der Lunge. Sprich die Bereiche der Lunge, die ausreichend mit Sauerstoff versorgt sind, haben ein breites Gefäßlumen und viel Blut strömt durch und kann Sauerstoff aufnehmen. Die Bereiche mit schlechter Sauerstoffversorgung haben ein enges Gefäßlumen und wenig Blut strömt durch. Der Euler-Liljestrand-Mechanismus stellt eigentlich eine Schutzfunktion für unseren Körper da. Der Mechanismus schützt uns davor, dass in Bereichen ohne funktionierenden Sauerstoffaustausch Blut unnütz durch rauscht. Praktisches Beispiel – bei einer Lungenentzündung gibt es Bereich mit schlechter Sauerstoffversorgung, durch den Entzündungsprozess. Dieser Bereich wird jetzt ausgeklammert, damit die restliche Lunge effektiver arbeiteten kann. Bei Hochtouren kann uns dieser Effekt allerdings in akute Lebensgefahr bringen.
Noch mal ganz kurz zur Erinnerung, wie das mit unserem Herzen nochmal so war, unser Herz besteht aus zwei funktionellen Einheiten, das linke und rechte Herz. Das rechte Herz pumpt Blut in die Lunge, hier wird es mit Sauerstoff angereichert und weiter ins linke Herz gepumpt. Das linke Herz pumpt Blut durch den kompletten restlichen Kreislauf und ist für die Versorgung von Gehirn, Eingeweiden, Muskeln usw. zuständig. Beide Herzhälften müssen optimal aufeinander abgestimmt sein, ansonsten entstehen Krankheiten und Notfälle.
Entstehung Höhenlungenödems und ein tödlicher Teufelskreis
Leider kann es in Höhen ab 3000 Metern (z.B. durch die fehlende Anpassung unseres Körpers) zu einer generalisierten hypoxischen Vasokonstriktion in der Lunge kommen, hierdurch steigt der Gefäßwiderstand in den Lungenstrombahnen massiv an. Das rechte Herz versucht jetzt mit all seiner Kraft gegen den Widerstand anzupumpen. Wegen dem hohen Widerstand tritt vermehrt Flüssigkeit aus den Lungenblutgefäßen in das umgebende Lungengewebe und führt zum sogenannten Lungenödem. Im schlimmsten Fall kann es innerhalb kürzester Zeit zu einem akuten Rechtsherzversagen kommen, da das rechte Herz gegen zu einen großen Widerstand in den Lungenblutgefäßen anpumpen muss. Durch das Lungenödem ist der Übertritt von Sauerstoff in die Lungenkapillaren deutlich reduziert und der Sauerstoffgehalt in unserem Blut kann erheblich sinken. Durch den niedrigen Sauerstoffgehalt werden alle Organe im Körper schlechter mit Sauerstoff versorgt, vor allem unser Gehirn reagiert sehr sensibel auf den niedrigen Sauerstoffgehalt im arteriellen Blut. Leider nimmt auch die hypoxische Vasokonstriktion zu, es kommt zu einem Teufelskreis, der tödlich enden kann. Ein Patient mit Höhenlungenödem stirbt an einer Kombination aus einem akuten Rechtsherzversagen und Sauerstoffmangel.
In unseren Lungenbläschen spielt sich das Höhenlungenödem ab. Je mehr Wasser in den Lungenbläschen ist, desto schlechter funktioniert der Sauerstoffaustausch.
Symptome Höhenlungenödem
- eines der ersten subjektiven Symptome ist ein plötzlicher Leistungsabfall während der Belastung, dies ist einfach durch den verminderten Sauerstoffgehalt im arteriellen Blut zu erklären
- feinblasige Rasselgeräusche – zuerst nur auskultatorisch wahrnehmbar, im Verlauf auch ohne Stethoskop hörbar, die Rasselgeräusche kommen durch das Lungenödem
- Atemnot unter Belastung und im Verlauf auch in Ruhe, mit zunehmenden Lungenödem wird diese sehr massiv und jeder Atemzug fällt schwerer und schwerer. Durch die vermehrte Atmung erschöpft der Bergsteiger noch schneller.
- Abfall der Sauerstoffsättigung und Entwicklung einer Zyanose (blaue Verfärbung der Lippen und Nagelbetten, bei massiven Sauerstoffmangel auch am Köperstamm/Gesicht). CAVE – auch eine Kälteexposition über längen Zeitraum kann zu einer Blauverfärbung der Lippen und der Finger führen
- zu Beginn setzt häufig ein trockener Husten ein, der mit Zunahme auch einen blutigen/schaumigen Auswurf haben kann
- einsetzende Tachypnoe (zu schnelle Atmung) und Tachykardie (zu schneller Puls)
- Übelkeit, Schwindel und Erbrechen können ebenfalls auftreten
- Bei zunehmenden Sauerstoffmangel im Gehirn kommt es zu Desorientiertheit und Verwirrtheit, dies kann dazu führen, dass der Patient seinen eigen lebensbedrohlichen Zustand gar nicht mehr realisiert. Durch taumelnden Gang, hervorgerufen durch Sauerstoffmangel im Kleinhirn, steigt die Absturzgehfahr erheblich
- Durch den sinkenden Sauerstoffgehalt und durch beginnende Kreislaufdepression kommt es zu Bewusstseinsseinstörungen und Bewusstlosigkeit. Leider kann bei solch massiver Symptomatik auch schnell zu einem Herz-Kreislauf-Versagen / Herzstillstand kommen.
Erstversorgung von einem Höhenlungenödem
Die Versorgung umfasst zwei wichtige Säulen, die eine ist die schnellstmögliche Versorgung mit Sauerstoff und die andere die Reduzierung der Höhenmeter. Ab gewissen Höhen, gehört medizinischer Sauerstoff zum lebensrettenden Notfallmaterial und sollte immer dabei sein. Schnelle Sauerstoffgabe sorgt zum einen für eine bessere Sauerstoffversorgung von allen lebenswichtigen Organen und kann gleichzeitig die hypoxischen Vasokonstriktion (Euler-Liljestrand-Mechanismus) aufhalten und reversibel machen. Eine frühzeitige Sauerstoffgabe, bei den ersten Symptomen, kann ein Höhenlungenödem verhindern.
Die andere lebensrettende Säule ist der forcierte Abstieg, denn mit jedem Tiefenmeter steigt der Sauerstoffpartialdruck. Es ist erstaunlich, was eine Differenz von 500 Höhenmeter ausmachen kann und wie schnell sich der Patientenzustand verbessern kann. Als Mindesttiefe gilt die Höhe, auf der noch keine Symptome aufgetreten sind. Anwendung eines Überdrucksacks kann sinnvoll sein, wenn kein Abstieg möglich ist oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich wäre.
Es sollte jegliche körperliche Anstrengung vermieden werden, optimalerweise wird der Patient heruntergetragen, hierbei bitte nicht liegen sondern mit erhöhten Oberköper. Falls es nicht anders geht und es keine Möglichkeit zum Tragen gibt, gilt es die körperliche Belastung so gering wie irgend möglich zu halten.
Falls es zu den ersten Symptomen kommt, bitte schnellst möglich handeln und nicht auf eventuelle Besserung warten. Mit jedem Milliliter Wasser, der in die Lunge läuft, wird der Zustand bedrohlicher.
Prävention vom Höhenlungenödem
Optimalerweise lassen wir es gar nicht erst zum Lungenödem kommen. Wichtig ist es auch zu realisieren, dass jeder Notfall im Hochgebirge die komplette Gruppe gefährdet, daher ist die Prävention für jeden Einzelnen so wichtig.
- es gibt eine genetische Komponente die das Höhenlungenödem begünstigt. Wer schon einmal ein Höhenlungenödem erlitten hat, ist unter Umständen besonders gefährdet. Häufig treten Symptome bzw. Warnzeichen schon früh auf. Klassisch sind hierbei konditionell unerklärliche Leistungseinbrüche bei Touren jenseits der 3000er Marke oder bei schnelleren Aufstiegen.
- Ausreichende Akklimatisierung sind unabdingbar, falls nur wenig Zeit zur Verfügung steht, lieber eine andere Tour planen, als sich und die Gruppe zu gefährden
- Mehr als 500 Höhenmeter im Hochgebirge pro Tag vermeiden
- Leider überschätzen sich viele Bergsportler. Hochtouren sollten den austrainierten Bergsportlern vorbehalten bleiben.
Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch etwas mitgeben – kein Berg und Gipfel der Welt ist es wert sein Leben oder das Leben seiner Gruppe zu gefährden. Es ist keine Schwäche zu sagen, dass es nicht mehr geht. Es ist eine Stärke seine Schwächen zu zeigen.
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